Exekutivfunktionen entwickeln sich in der Pubertät Sie sind die „Bremsleitung“ bei Stress, die sagt: „Beruhige dich!“ von Luca Barrett ...
Sie sind die „Bremsleitung“ bei Stress, die sagt: „Beruhige dich!“
von Luca Barrett
Für Hunde sind Exekutivfunktionen sehr wichtig im Umgang mit
Stress. Aber viele Hunde weisen eine Störung der Exekutivfunktionen auf, weil
die Nervenverbindungen während der Pubertät nicht ausreichend aktiviert wurden.
Dies hat verschiedene Ursachen, wie der Artikel erklärt.
Und wusstest du, dass kleine Hunderassen sogar über weniger
Exekutivfunktionen verfügen als große Hunderassen? Oder dass ein Test der
Exekutivfunktionen Aussagen über den Erfolg als Assistenzhund bringen kann?
Exekutivfunktionen
Der Begriff „Exekutivfunktionen“ stammt aus der
Neurobiologie und wird für Menschen und Hunde verwendet.
Bei Menschen ist der Begriff insbesondere im Zusammenhang
mit AD(H)S bekannt, da die exekutiven Funktionen bei Betroffenen häufig
beeinträchtigt sind, was zu Schwierigkeiten im Alltag führt. Dazu gehören
Schwierigkeiten mit dem Arbeitsgedächtnis, der Impulskontrolle, der
Aufmerksamkeitssteuerung und der kognitiven Flexibilität, die sich in Problemen
bei der Organisation, Planung und der Bewältigung von Frustration äußern.
Vereinfacht gesagt bezeichnen „Exekutivfunktionen“ hemmende
und erregungsdämpfende Nervenverbindungen, die von den übergeordneten Zentren
der Großhirnrinde und weiterer höherer Gehirnregionen zu den darunterliegenden
Kerngebieten des emotionalen Gehirns führen. Du kannst sie dir als Bremsleitung
vorstellen, deren Aufgabe es ist, den emotionalen Zentren einen
Stillhaltebefehl zu erteilen, wie: „Beruhige dich!“.
Aktivierung in der Pubertät
Exekutivfunktionen müssen im Verlauf der individuellen
Entwicklung erst aktiviert werden. Weder Hunde noch Menschen kommen mit bereits
funktionierenden Exekutivfunktionen zur Welt.
Zum größten Teil werden die Exekutivfunktionen während der
Pubertät aktiviert. Hierzu müssen die Verbindungen neuronal verknüpft werden,
wenn der Hund sie anwendet. Erhält der Hund nicht die Möglichkeit, diese
Nervenverbindungen anzuwenden, indem er reizarm aufwächst, können die
Exekutivfunktionen nicht ausreichend aktiviert werden. Aber auch andere
Ursachen können zu einer Störung der Exekutivfunktionen führen. So fanden Maike
Foraita, Tiffani Howell und Pauleen Bennett 2021 in der Studie „Environmental
influences on development of executive functions in dogs“ heraus, dass frühe
Erfahrungen, Training, Unterbringung und Stress Einfluss haben.
Beeinträchtigung
Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass die Entwicklung der
Exekutivfunktionen durch folgende Erfahrungen beeinträchtigt wird:
·
Wenn Welpen und Junghunde Schwierigkeiten als
unüberwindbar empfinden, wird die Entwicklung der Exekutivfunktionen negativ
beeinflusst.
·
Trainingsmethoden, die mit Strafen arbeiten,
führen zu einer schlechteren Exekutivfunktion.
·
Bei Hunden, die im Zwinger aufwachsen und/oder
leben, sind die Exekutivfunktionen beeinträchtigt.
·
Erlebt der Welpe oder Junghund viel Stress, hat
dies negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Exekutivfunktionen.
Positiver Einfluss
Positiven Einfluss auf die Entwicklung der
Exekutivfunktionen haben laut der Studie folgende Bereiche:
·
Erleben die Welpen und Junghunde
Herausforderungen, die sie überwinden können, unterstützt dies die Ausbildung
der Exekutivfunktionen.
·
Positives Training hilft Welpen und Junghunden
Exekutivfunktionen auszubilden.
·
Wenn die Welpen und Junghunde leichtem Stress
ausgesetzt sind, fördert es die Entwicklung von Exekutivfunktionen.
Diese Erkenntnisse haben direkten Einfluss auf den Erfolg eines
Stressmanagements. Verfügt ein Hund nur über wenige Exekutivfunktionen, hat
Stressmanagement seine Grenzen und kann nur so viel erreichen, wie das Gehirn
des Hundes zulässt.
Kleine Rassen verfügen über weniger Exekutivfunktionen
Neuere neurobiologische Untersuchungen zeigen, dass kleinere
Hunderassen über weniger Exekutivfunktionen verfügen als größere. Die häufig
beobachtete hohe Reizbarkeit vieler kleiner Rassen lässt sich somit
neurobiologisch erklären.
Die Ergebnisse der Studie „Absolute brain size predicts dog
breed differences in executive function“ deuten laut den Wissenschaftlern
darauf hin, dass die evolutionäre Vergrößerung des Gehirns bei Hunden mit
Unterschieden in der exekutiven Funktion zusammenhängt. Insbesondere Rassen mit
größerem Gehirn schnitten bei Tests zum Kurzzeitgedächtnis und zur
Selbstkontrolle deutlich besser ab.
Exekutivfunktionen bei Assistenzhunden
2024 wurden in der Studie „Executive functions in a
population of guide dog candidates“ 147 Hunde einer Blindenführhundschule auf
ihre Exekutivfunktionen untersucht. Untersucht wurden zwei Hundegruppen: Eine
Gruppe junger Welpen im Alter von 7,5 Wochen wurde im Labor kognitiven Tests
unterzogen, um Hemmung und Arbeitsgedächtnis zu messen.
Der „A-nicht-B-Test“ untersuchte bei Welpen ihre Fähigkeit,
zwischen zwei Bechern zu wählen, unter denen sich ein Stück Trockenfutter
befindet. Die Testperson zeigte dem Welpen das Futter und versteckte es
sichtbar unter einem der beiden Becher. Nach Freigabe durfte der Welpe sich
einem Becher nähern; wählte er den richtigen mit dem Futter, galt der Versuch
als erfolgreich.
In der zweiten Gruppe füllten Patenfamilien für Junghunde im
Alter von etwa 12 Monaten einen Fragebogen zu Exekutivfunktionen aus, der sechs
Komponenten der Exekutivfunktionen erfasst: Flexibilität im Verhalten,
motorische Kontrolle, verzögerte Hemmung, Arbeitsgedächtnis, Befolgung von
Anweisungen und Aufmerksamkeit gegenüber dem Halter.
Die Ergebnisse des „A-nicht-B-Tests“ bei Welpen sowie die
Aufmerksamkeit gegenüber der Patenfamilie bei Junghunden standen in
Zusammenhang mit dem Arbeitserfolg.
Wenn ein Welpe beim „A-nicht-B-Test“ der Studie drei oder
mehr Fehler machte, musste er später meist ausgemustert werden, während Welpen
mit weniger Fehlern die Ausbildung schafften. Bei einjährigen Junghunden zeigte
sich, dass eine hohe Aufmerksamkeit gegenüber dem Halter – etwa durch häufigen
Blickkontakt – die Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen Abschluss der
Blindenführhundausbildung erhöht.
Die Forscher schlossen daraus, dass die Bewertung von
Exekutivfunktionen das Erfolgspotenzial von Assistenzhunden zuverlässig
vorhersagen kann und somit Auswahl- und Trainingsprozesse verbessern hilft.
Anmerkung:
Dies ist ein Ausschnitt aus dem zweiten Kapitel von
unserem Kurs „Fachkraft für Stressmanagement bei Hunden“.
Im Rahmen unseres Kurses „Fachkraft für Stressmanagement
bei Hunden“ wird dieses Thema noch ausführlicher behandelt und in den Kontext
der späteren praktischen Arbeit gesetzt. Teilnehmer erhalten einen speziellen
Fragebogen zu Exekutivfunktionen, mit dem sie die Ausprägung dieser Fähigkeiten
bei Kundenhunden messen können. Zudem hilft dies beispielsweise
Assistenzhundetrainern, die Erfolgsaussichten ihrer Arbeit besser einzuschätzen
– basierend auf Erkenntnissen aus der Blindenführhundstudie.
Mehr Infos zum Kurs „Fachkraft für Stressmanagement bei
Hunden“ weiterlesen

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